Hallo alle Miteinander,
die meisten Menschen, denen ich so begegne, lösen keine großartigen Reaktionen hervor. Weder Bewunderung und großes Interesse noch Abneigung und totale Gleichgültigkeit: so wie man mit fremden und fern bekannten Menschen umgeht. Doch es gibt Menschen in der Kategorie fern bekannt, denen ich mit großem Interesse und einiger Bewunderung gegenüberstehe.
Ich habe im Artikel Von handgeschrieben Exzerpten, dem Politischen und Fernsehkritik-TV ja bereits von dem Dozenten berichtet, der uns ein handgeschriebenes Exzerpt anfertigen ließ. Und hinter dem Politischen verbirgt sich hier auch ein (anderer) Dozent, bei dem ich den Kurs Neuere Debatten über das Politische besuchte. Ich frage mich, warum ich ausgerechnet zwei Dozenten im Zusammenhang mit Persönlichkeiten erwähne. Es gibt im Alltag doch so viel Andere Menschen, die als Beispiel taugen würden: die Großmutter, die ihr Leben lang hart gearbeitet hat und sich hat nie unterkriegen lassen! Der gute Freund, der immer seine Meinung sagt, egal wie kritisch sie auch sein mag oder der Nachbar, der einem so sympathisch ist. Durchhaltevermögen, Ehrlichkeit und Sympathie machen meiner meiner Meinung nicht allein eine Persönlichkeit aus, es muss etwas anderes: Polarisierung!
An der Uni merkt man, wer polarisiert. Viele eigenständige Menschen bilden sich eine Meinung über Kommilitonen oder Dozenten. Es zeichnen sich zwei große Lager ab: das Lager der Sympathisanten und das Lager „Antipanten“, Leute, die eine bestimmte Person partout nicht leiden können. Der Dozent mit den handgeschriebenen Exzerpten gehört zweifelsohne zu denen, die polarisieren. Dazu muss man wissen: an den meisten Unis herrscht eine Tendenz zu einem bestimmten Klima. Ich nenne es scherzhaft das Wattebausch-Klima. Diskriminierung soll verhindert werden, ein sachlicher Ton soll gefunden werden, man möchte differenzieren! Alles Dinge, die ich unterschreibe, für die ich einstehe! Es gibt nur einen Haken: der Wattebausch federt alles ab. Einige sind geneigt, deutliche Ansagen als diskriminierend, Unsachlich und verallgemeinernd hinzustellen. Mein hier erwähnter Dozent macht deutliche Ansagen! Ich meine, nicht vollkommen unempfindlich gegenüber Diskriminierung, Unsachlichkeit oder Verallgemeinerung zu sein. Bei dem Dozenten kann ich all dies nicht erkennen. Einige meinen dies zu erkennen. Der Dozent spielt nämlich, im wahrsten Sinne des Wortes mit Grenzen. Einige sehen bereits Grenzüberschreitungen, für Andere ist alles im grünen Bereich. Der Dozent legt großen Wert darauf, dass man im wissenschaftlichen Schreiben eine klare These, ein klares Argument formuliert. Er regt uns an, die Konventionen des wissenschaftlichen Schreibens auszuloten. Er mahnt aber auch über Worte und Begriffe nachzudenken!
Was hat dies mit Persönlichkeit zu tun? Wir sollen eben auch ein Stück Persönlichkeit in wissenschaftliche Texte bringen. Klare Kante zeigen und nach allen Regeln der Wissenschaft diese Kante untermauern! Wissenschaft soll (ein Stück weit) polarisieren! So lassen sich Argument und Gegenargument besser finden und austauschen. Ja, der Dozent provoziert! Ich sehe einige seiner Äußerungen sehr nahe an der Grenze zur Fremdenfeindlichkeit oder zum Sexismus. Aber nochmal: „dieses an der Grenze sein“ ist gewollt. Der Dozent wird haargenau wissen, was er in der Studierendenschaft auslöst. Er nimmt diese Polarisierung gerne in kauf. Ich auch. Denn er ist eine Persönlichkeit.
Mein zweiter hier erwähnter Dozent polarisiert ebenfalls. Aber er tut dies auf eine andere Weise. Ich bezweifle ob ihm das bewusst ist. Er ist ein älterer Herr mit Schurbart, Hut und Cord-Anzug. Seine Sprache wirkt seltsam gestochen, er hält minutenlange Monologe, schweift gerne vom Thema ab und denkt in sehr komplexen Strukturen. So Jemanden möchte man eigentlich nicht als Dozent haben! Interessanterweise stimmten fast alle Kursteilnehmer darin überein, dass der Kurs, mit ihm, Spaß gemacht hat. Dies mag daran liegen, dass der Mann was zu erzählen hat! Er ist unglaublich kompetent, ohne dass dies zur Arroganz abgleitet. Er redet sehr gerne, hört aber auch anderen aufmerksam zu. Er denkt in komplexen Strukturen, hilft aber auch, diese zu entwirren. Nicht simplifizieren: entwirren, komplexe Gedankengänge werden aufgeschlüsselt. Und wo ist jetzt die Polarisierung? Es werden alle Eigenschaften geboten um den Dozenten abzulegen: schwer verständliche Ausdrucksweise, lange Monologe, sich während des Erzählens verlieren. Aber der Dozent schafft Sympathie, durch die Augenhöhe mit uns.
Man muss nämlich nicht so tun, als würde man die Welt der Mitte-Zwanzigjährigen verstehen, ihre Sprache sprechen. Es reicht aus, selbstbewusst zu sich selbst zu stehen. Hier stehe ich kann nicht anders und steht auch hier und könnt nicht anders lasst uns zusammen arbeiten. Diese Aussage trifft auf beide Dozenten zu. Sie trifft besonders auf den letztgenannten zu. Persönlichkeiten sind Persönlichkeiten, weil sie sich und andere nicht verbiegen. Sie achten sich und andere. Sie hören auf sich und Andere. Sie gehen nicht mit der Mode und lassen Andere nicht ungefragt mitgehen. Es sind keine Arroganten und keine Egoisten, es sind Menschen. Wer hätte das gedacht.
Da kann ich noch schnell zur mittelmäßigen Wissenschaft überleiten. Ich habe im Rahmen eines Uni-Seminars gelesen: Ernest Gellner: Ein Schlagwort wird geboren. In: Bedingungen der Freiheit, 1994, S. 10 -21. Hier Seite 14 (Hervorhebungen im Text von mir)
Das [real-sozialistische Ostblock] System schuf keineswegs einen neuen gesellschaftlichen, von egoistischer Gier, Konsumfetischismus und Konkurrenzdenken befreiten Menschen, wie die Marxisten gehofft hatten, sondern isolierte, amoralische, zynische Individualisten mit total begrenzten Möglichkeiten [.]
S. 21
Viele von uns im Westen haben sie [die Zivilgesellschaft] sie als selbstverständlich betrachtet (und Manche tun das immer noch) als so etwas wie den menschlichen Normalzustand, während die Menschen im Osten sie umso leidenschaftlicher lieben gelernt haben [.]
Was stört mich am fett zitierten Text? Es ist richtig festzustellen, dass der Realsozialismus nicht den besseren Menschen schuf. Es stimmt, dass der Realsozialismus eine Tendenz bot, dass Menschen isolierte, amoralische, zynische Individualisten werden konnten. Aber Gellner pauschalisiert. Er bringt keine Belege, die seine These bestätigen. Vor allem das zweite Zitat ist für die Diskussion hier von Interesse. Ich unterstelle zum Beispiel den Piraten ein pragmatisches Verhältnis zur Zivilgesellschaft. Man organisiert, man kooperiert mit ihr um einen Mehrwert zu schaffen. Von leidenschaftlicher Liebe wird da keiner reden. (Na gut, nicht alle Piraten waren Bürger der DDR 🙂 )
Ein Ernest Gellner sagt zugespitzt: der Realsozialismus habe die Menschen zu isolierten, amoralischen, zynischen Individualisten verkommen lassen. Der Westen mit seiner Zivilgesellschaft sei ein Ort den man leidenschaftlich lieben sollte bzw. den den die Ossis leidenschaftlich lieben! Ein wissenschaftliches Buch ist kein Ort für provokante Thesen, die nicht belegt werden! Um nicht missverstanden zu werden: 40 Jahre Ostblock, waren 40 Jahre zu viel! Der Marxismus ist zu Recht gescheitert! Er hätte die beiden Sätze weglassen können, der Leser hätte seinen Punkt verstanden. Es gibt andere Orte um (berechtigt) gegen den Marxismus zu polemisieren.
Mir haben die Zitate vor Augen geführt, dass auch der Eine oder Andere Wissenschaftler im Gewand der Wissenschaft z. B. gegen die Piraten polemisieren könnte. Man kann die Piraten, auch aus wissenschaftlicher Sicht, kritisieren. Wissenschaftliche Kritik muss differenziert und mit Belegen unterfüttert sein. Sie kann auch mal provokant und polemisch erfolgen. Die nachfolgende Differenzierung und die Belege dürfen aber nicht fehlen!
Hier haben wir es mit Jemanden zu tun, der im wissenschaftlichen Gewand polemisieren möchte. Das ist weder mutig, noch Akt von Persönlichkeit, es ist plump und durchschaubar!
Schlagwörter: Bildung, Gesellschaft, Kritik, Medien, Mitmenschlichkeit, Mittelmäßigkeit, Wissenschaft